Durch die zeitlich befristeten Betretungsverbote des Kundenbereichs einer Vielzahl an Betrieben wirft das Coronavirus auch viele bestandrechtliche Fragen auf. Muss der Miet- oder Pachtzins weiterhin bezahlt werden? Gibt es ein Recht auf Bestandzinsminderung? Wie wirken sich behördliche Schließungen auf eine mögliche Betriebspflicht aus? Und wie verhält es sich bei freiwilligen Schließungen?
Diese und andere Fragen beantwortet Mag. Irena Gogl-Hassanin im der folgenden Übersicht zu den bestandrechtlichen Folgen des Coronavirus.
Muss der Bestandnehmer weiter Bestandzins zahlen, wenn ein Betrieb aufgrund von COVID-19 behördlich geschlossen oder ein Betretungsverbot ausgesprochen wird?
Am 15.3.2020 wurden zeitlich befristete Betretungsverbote des Kundenbereichs einer Vielzahl an Betrieben – derzeit befristet bis 22.3.2020 – als Maßnahme zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus angeordnet.
- § 1104 ABGB regelt Fälle und Bedingungen der Erlassung des Bestandzinses, wenn eine Bestandsache gänzlich oder teilweise wegen außerordentlichen Zufalls unbrauchbar wird. Der Gesetzestext nennt als Fall eines solchen außerordentlichen Zufalls auch Seuchen. Dazu gehören ebenfalls vom Mieter nicht provozierte hoheitliche Verfügungen wie Schließungen oder Beschlagnahmen des Bestandgegenstandes. Auch Betretungsverbote, die einer Schließung gleichkommen, können unter Umständen hierunter fallen.
- § 1104 ABGB verfolgt systematisch allerdings einen anderen Hauptzweck, als dem Bestandnehmer eine Möglichkeit der Bestandzinsbefreiung zu gewähren. Ziel der Bestimmung ist vielmehr, den Bestandgeber von der Wiederherstellungspflicht eines unbrauchbaren Bestandsgegenstandes zu befreien.
Gemäß § 1096 ABGB bzw § 7 MRG trifft den Bestandgeber nämlich eine umfassende Instandsetzungspflicht des Bestandgegenstandes, auch bei zufälliger Unbrauchbarkeit (d.h. von niemandem verursacht). § 1104 ABGB ist damit eine Ausnahme dieser Wiederherstellungspflicht.
Im Gegenzug ist jedoch auch der Bestandnehmer von der Zahlung des Bestandzinses für diese Zeit befreit.
Prinzipiell kann sich daher ein Bestandnehmer aufgrund einer behördlichen Schließung seines Betriebs auf §°1104 ABGB berufen. Der Bestandgeber muss (bzw. kann) den Zustand vor Schließung gar nicht wiederherstellen, und der Bestandnehmer muss für die Zeit der Schließung keinen Bestandzins zahlen. Im Falle eines Betretungsverbots ist im Einzelfall zu prüfen, inwieweit das Betretungsverbot einer Schließung gleichkommt. Bleibt die Brauchbarkeit der Geschäftsräumlichkeit zumindest teilweise bestehen (da man etwa Lieferservice anbieten kann, Büroräumlichkeiten weiterhin verwenden kann, etc.), ist der Tatbestand des § 1104 ABGB womöglich doch nicht (vollumfänglich) erfüllt.
Sind die Regelungen des § 1104 ABGB zwingend?
Nein! Die Bestimmungen der §§ 1104ff ABGB sind dispositives Recht und werden oft in Mietverträgen ausgeschlossen. Es empfiehlt sich daher jedenfalls, einen Blick in den Miet- bzw. Pachtvertrag zu werfen, ob hier eigene Regelungen vereinbart wurden.
Gelten die Regelungen der §§ 1104ff ABGB gleichsam für Miete und Pacht?
Ja! § 7 MRG verweist für dem MRG unterliegende Verträge ausdrücklich auf § 1104 ABGB. Für Pachtverträge und sonstige Bestandverträge gelten die Regelungen des ABGB ohnehin, sofern nichts anderes zwischen den Vertragsparteien vereinbart wurde.
Besteht ein Bestandzinsminderungsrecht auch für Betriebe, die nicht von einer behördlichen Schließung betroffen sind, jedoch aufgrund der Begleitmaßnahmen (zB Ausgangssperre) ihren Betrieb nicht (oder nur eingeschränkt) nutzen können?
Viele Betriebe sind derzeit davon betroffen, dass sie angehalten sind, ihre Mitarbeiter in Home Office oder Kurzarbeit oder Urlaub zu schicken, damit diese etwa ihren Betreuungspflichten aufgrund von Schulschließungen nachkommen können. Andere Betriebe, etwa im Retail- und Dienstleistungsbereich, sind darauf angewiesen, dass Kunden in ihr Geschäftslokal kommen, um Umsatz erwirtschaften zu können.
Sofern jedoch diese Betriebe nicht von einer behördlichen Schließung oder eines Betretungsverbots betroffen sind, ist die Geschäftsräumlichkeit aus bestandrechtlicher Sicht nicht unbrauchbar, sodass, vorbehaltlich einer Einzelfallprüfung, nicht von einem Fall der §§ 1104ff ABGB auszugehen sein wird.
Wie wirkt sich eine behördliche Schließung oder ein Betretungsverbot auf eine vertraglich vereinbarte Betriebspflicht aus?
Eine behördlich oder gesetzlich angeordnete Schließung eines Betriebs oder ein Betretungsverbot, sofern dies einer Betriebsschließung gleichkommt, setzt eine vertraglich vereinbarte Betriebspflicht aus. Der Bestandgeber darf sich daher nicht darauf berufen und es besteht auch kein Kündigungsrecht des Bestandgebers in einem solchen Fall.
Wie verhält es sich mit einer (vorübergehenden) freiwilligen Schließung des Betriebs als indirekte Folge der Maßnahmen des COVID19-Maßnahmen Gesetzes?
Nicht so einfach ist die Frage zu beantworten, ob ein Bestandgeber auf einer vertraglich vereinbarten Betriebspflicht bestehen darf, wenn ein Betrieb nicht von einer behördlichen Schließung betroffen ist, aber als Reaktion auf das derzeit empfohlene „Social Distancing“ seinen Betrieb vorübergehend schließt. Die Rechtsprechung hat sich mit einem solchen Fall noch nicht auseinandersetzen müssen, sodass im Einzelfall geprüft werden muss, ob die Rechtfertigungsgründe für die freiwillige Schließung die Rechtfertigungsgründe für das Bestehen auf einer Betriebspflicht überwiegen.
Gelten die §§ 1104ff ABGB auch für Bestandverträge zu Wohnzwecken?
Vom Prinzip, gelten die Regelungen der §§1104ff ABGB auch für Wohnungsmietverträge, allerdings liegt für diese im vorliegenden Fall gerade keine Unbrauchbarkeit aufgrund der behördlichen bzw. gesetzlichen Maßnahmen vor, sodass keine Mietzinsminderung bei Wohnungsmieten auf Grundlage der §§ 1104ff ABGB begehrt werden kann.
Wie verhält es sich mit Beherbergungsverträgen zur kurzzeitigen bzw. mittelfristigen Miete, etwa bei Ferienwohnungen oder Serviced Apartments?
Sofern der jeweilige Beherbergungsbetrieb nicht von einer Betriebsschließung oder einem Betretungsverbot betroffen ist, ist davon auszugehen, dass die Nutzung der einzelnen Beherbergungsobjekte weiterhin benützbar bleiben. Ein Gast mag aufgrund der behördlichen bzw. gesetzlichen Maßnahmen Einschränkungen in seinem Urlaubsgefühl haben, da er das Kulturangebot in Wien nicht oder nur eingeschränkt nutzen kann. Da dies jedoch nicht Inhalt des Beherbergungsvertrags ist, kann der Gast daraus jedoch grundsätzlich keine Minderung des Beherbergungsentgelts verlangen. Anderes könnte im Einzelfall gelten, wenn etwa vereinbarte Zusatzleistungen (zB Reinigung) nicht oder nur eingeschränkt erbracht werde können.
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