Eine Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage einer Rot-Weiß-Rot-Karte ist auch dann möglich, wenn sich das Unternehmen noch im Aufbau befindet bzw. der Arbeitsplatz bislang noch nicht existierte, stellte der VwGH in einer neuen Entscheidung klar.
Die Rot-Weiß-Rot-Karte (im Folgenden RWR-Karte) regelt die kriteriengeleitete und qualifizierte Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen. Die Erteilungsvoraussetzungen zielen darauf ab, mit der RWR-Karte besonders qualifizierten bzw. auf dem Arbeitsmarkt benötigten Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel und Arbeitsberechtigung zu verleihen.
Die Auslegung der im Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sowie Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) geregelten Kriterien beschäftigt immer wieder die Gerichte. So war in der vorliegenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) zur GZ Ro 2021/09/0002-4 zu klären, ob eine RWR-Karte erteilt werden kann, wenn das Unternehmen, in dem der Antragsteller beschäftigt werden soll, den Geschäftsbetrieb noch gar nicht aufgenommen hat.
Überblick Rot-Weiß-Rot-Karte
Die RWR-Karte ist ein Aufenthaltstitel für Drittstaatsangehörige nach § 41 NAG. Sie gilt für zwei Jahre und berechtigt zur Niederlassung in Österreich und zur Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber.
Die Erteilung der RWR-Karte hängt einerseits von den allgemeinen Voraussetzungen für Aufenthaltstitel gemäß § 41 iVm § 11 NAG ab. Darüber hinaus verlangt § 41 NAG eine positive Stellungnahme des Arbeitsmarktservice (AMS).
Je nach Konstellation kann es sich bei dieser Stellungnahme um eine Mitteilung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des AMS nach § 20d Abs 1 Z 1-4 AuslBG handeln, womit das AMS bestätigt, dass es sich beim Antragsteller um einen besonders Hochqualifizierten, eine Fachkraft in Mangelberufen oder Schlüsselkraft iSd §§ 12 bis 12b Z 1 und Z 2 AuslBG handelt.
Alternativ kann die RWR-Karte erlangt werden, wenn die zuständige Landesgeschäftsstelle des AMS ein Gutachten erstellt, wonach es sich beim Antragsteller um eine selbständige Schlüsselkraft oder einen Start-up-Gründer handelt, bei dem die Voraussetzungen des § 24 Abs 1 bzw. Abs 2 AuslBG vorliegen.
Sachverhalt im VwGH-Erkenntnis
Eine iranische Staatsangehörige beantragte 2019 die RWR-Karte. Sie verfügte über ein abgeschlossenes Medizinstudium und zehn Jahre Berufserfahrung sowie Deutsch- und Englischkenntnisse.
Die Antragstellerin sollte bei der Arbeitgeberin in der Beratung und im Vertrieb mit einem monatlichen Bruttolohn von EUR 3.300,00 beschäftigt werden.
Die Arbeitgeberin – eine GmbH mit Sitz in Wien – war 2019 in das Firmenbuch eingetragen worden und verfügte ab Jänner 2020 über eine Gewerbeberechtigung für das Handelsgewerbe. Sie entfaltete aber keine Geschäftstätigkeit, verfügte über kein Geschäftslokal und keine Homepage. Der (zukünftig zu verfolgende) Geschäftsgegenstand sollte der Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln sein. Im Jahresabschluss 2019 wies das Unternehmen Aktiva in der Höhe von ca. 17.300 € auf. Es sei erst in ungefähr 18 Monaten mit einem Gewinn zu rechnen.
Sowohl das AMS als auch das angerufene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) versagten die beantragte Zulassung als Schlüsselkraft iSd § 12b Z 1 AuslBG.
Zwar erreiche die Antragstellerin die erforderliche Mindestpunktezahl, doch sei die RWR-Karte angesichts des bislang nicht entfalteten Geschäftsbetriebs des Arbeitgebers nicht zu erteilen.
Der VwGH hob das bekämpfte Erkenntnis auf und ging dabei auf die zwei tragenden Argumente des BVwG im Zusammenhang mit der noch nicht entfalteten Geschäftstätigkeit des Arbeitgebers ein: Die angeblich fehlende „betriebliche Notwendigkeit“ der Beschäftigung der Antragstellerin und die Frage, ob tatsächlich Zweifel daran bestanden, dass der Arbeitgeber seiner Lohnzahlungspflicht nachkommen würde.
Betriebliche Notwendigkeit
Das BVwG hatte argumentiert, dass Voraussetzung für eine Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4b AuslBG stets eine „betriebliche Notwendigkeit“ der Beschäftigung des Drittstaatsangehörigen sei. Bei einem nicht existenten Geschäftsbetrieb könne keine solche „betriebliche Notwendigkeit“ bestehen.
Hierzu führte der VwGH aus, dass weder das Gesetz noch die bisherige Rechtsprechung die Auslegung stützen, dass ein laufender Geschäftsbetrieb erforderlich sei. Der Antrag hätte nur dann abgewiesen werden dürfen, wenn der im Antrag angeführte Arbeitsplatz im Betrieb des Arbeitgebers tatsächlich nicht besetzt werden soll, die Arbeitskraft also gar nicht, oder nicht in der behaupteten Art und Weise beschäftigt werden soll.
Zweifel an der Erfüllung der Lohnzahlungspflicht
Zudem hatte das BVwG auf § 4 Abs 1 Z 2 AuslBG verwiesen, wonach als Voraussetzung für die Beschäftigungsbewilligung voraussetzt werde, dass die Gewähr gegeben erscheine, dass der Arbeitgeber arbeitsrechtliche Vorschriften einhalte. Mangel Geschäftsbetrieb und Businessplan seitens der GmbH bestünden Zweifel daran, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Zahlung der Entlohnung von EUR 3.300,00 nachkommen würde.
Diesem Argument konnte sich der VwGH deshalb nicht anschließen, weil sich das BVwG auf die Feststellung beschränkt hatte, dass das Unternehmen in den ersten 18 Monaten noch nicht mit einem „ausreichenden Gewinn“ rechnen könne.
Daraus – so der VwGH – ist jedoch nicht abzuleiten, dass die Lohnzahlungen nicht erfolgen oder die Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht eingehalten werden. Für eine solche (negative) Prognoseentscheidung bedürfte es vielmehr konkreter Feststellungen, aus denen sich ableiten ließe, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit überhaupt nicht aufgenommen wird oder ein Interesse an der Geschäftstätigkeit gar nicht bestehen würde, wovon das BVwG aber selbst nicht ausgegangen war.
Fazit
Der VwGH stellt mit seiner Entscheidung klar, dass eine Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen auf Grundlage einer RWR-Karte auch dann möglich ist, wenn sich das Unternehmen noch im Aufbau befindet bzw. der Arbeitsplatz bislang noch nicht existierte.
Gleichzeitig gibt der VwGH zu erkennen, dass er einer missbräuchlichen Beantragung der RWR-Karte – etwa mithilfe von Scheinunternehmen – keineswegs Tür und Tor öffnet: Die von Behördenseite vorgetragenen Argumente (fehlende betriebliche Notwendigkeit; Zweifel an der Erfüllung der Lohnzahlungspflicht) können durchaus zur Versagung der Zulassung als Schlüsselkraft führen, doch setzt dies voraus, dass ein entsprechender Sachverhalt nachgewiesen wird.