OGH bestätigt: Betretungsverbot im Lockdown berechtigt zur Mietzinsbefreiung

Portrait Mag. Irena Gogl-Hassanin

COVID-19 ist eine Seuche, die zur Anwendbarkeit des § 1104 ABGB (Mietzinsbefreiung bei zufälliger Unbrauchbarkeit) bei pandemiebedingten Betretungsverboten führt. Dies ist nun in der OGH-E zu 3 Ob 78/21y auch höchstgerichtlich bestätigt. Ob allerdings alle Branchen, die von behördlichen Betretungsverboten betroffen sind, eine vollständige Mietzinsbefreiung geltend machen können, ist weiterhin unklar. Es bleibt daher spannend.

Laden Sie ein Pdf unseres Newsletters herunter.

Zur Erinnerung: Die Regelung des § 1104 ABGB

Die (dispositive (!)) Bestimmung des § 1104 ABGB verfolgt systematisch den Hauptzweck, den Bestandgeber von der Wiederherstellungspflicht eines zufällig unbrauchbar gewordenen Bestandsgegenstandes zu befreien. Das Gesetz nennt Beispiele für derartige Zufälle, unter anderem auch „Seuche“. Gemäß § 1096 ABGB bzw. § 7 MRG trifft den Bestandgeber nämlich grundsätzlich eine umfassende Instandsetzungspflicht, auch bei zufälliger Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstandes (d.h. von niemandem verursacht). § 1104 ABGB ist damit eine Ausnahme dieser Wiederherstellungspflicht. Im Gegenzug ist allerdings auch der Bestandnehmer von der Zahlung des Bestandzinses für diese Zeit befreit.

Als im Frühjahr erstmals Betretungsverbote als Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erlassen wurden, wurde unter Berufung auf § 1104 ABGB vermehrt eine Mietzinsminderung bzw. eine Mietzinsbefreiung der Bestandnehmer diskutiert.

Der OGH nahm in seiner Entscheidung zu 3 Ob 78/21y nun erstmals zur Frage der Anwendbarkeit des § 1104 ABGB auf die von den Maßnahmen im Zuge der COVID-19-Pandemie betroffenen Bestandverhältnisse über Geschäftsräumlichkeiten Stellung.

Die Fakten

Der Beklagte ist Eigentümer eines Hauses, in dem sich ein Geschäftslokal befindet.

Die Klägerin ist Mieterin dieses Geschäftslokales und betreibt dort ein Sonnenstudio und artverwandte Tätigkeiten samt arttypischen Nebenbereichen wie Getränkeausschank, Verkauf Zubehör/Pflegeartikel etc.

Seitens der Klägerin wurde die Feststellung begehrt, dass sie im Zeitraum 1. April bis 30. April 2020 von der Entrichtung des Mietzinses zur Gänze befreit gewesen sei.

Die Argumente

Die Klägerin argumentierte, dass der vereinbarte Vertragszweck des Mietverhältnisses der Betrieb eines Sonnenstudios sei. Infolge der COVID-19-Pandemie habe die Klägerin das Geschäftslokal ab 16. März 2020 bis einschließlich 30. April 2020 nicht nutzen dürfen, weil der Betrieb nicht unter einen Ausnahmetatbestand der COVID-19 Verordnung gefallen sei und das Betretungsverbot somit auch für dieses Geschäftslokal gegolten habe.

Der Beklagte entgegnete, dass es bei Geschäftsraummieten zu keiner vollständigen Mietzinsbefreiung kommen könne. Die Klägerin hätte unter Vorbehalt der Rückforderung den Mietzins bezahlen müssen. Jedenfalls sei sie verpflichtet gewesen, die Betriebskosten und Heizkostenakontozahlungen zu leisten. In den Medien sei darüber hinaus „publiziert, dass Kleinunternehmer Sofortzahlungen und Fixkostenzuschüsse erhalten“, und dazu habe die Klägerin bisher keine „Grundlagen“ geliefert. Die Klägerin hätte bis zu 75 % der Miete durch Gewährung eines Fixkostenzuschusses erhalten können und daher sei das Klagebegehren „schikanös“. Schließlich habe die Klägerin das Lokal durch die im Bestandobjekt befindliche Einrichtung genutzt.

Obiter dictum des OGH

Der OGH stellte in seiner Entscheidung nun klar, dass COVID-19 als „Seuche“ im Sinne des § 1104 ABGB zu qualifizieren ist und daher § 1104 ABGB auch grundsätzlich zur Anwendung kommt. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 galt aufgrund der Schließungsverordnung für das fragliche Bestandobjekt im hier maßgeblichen Monat April 2020 ein Betretungsverbot. In diesem Zeitraum konnte daher das Geschäftslokal „gar nicht gebraucht oder benutzt werden“. Dies erfüllt die Kriterien des § 1104 ABGB auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – erst unmittelbar aus dieser hoheitlichen Anordnung (Betretungsverbot) folgte, dass das für bestimmte Geschäftszwecke gemietete Objekt nicht entsprechend der vertraglichen Vereinbarung genutzt werden durfte. Dies entspricht nämlich dem von der Rechtsprechung schon bisher vertretenen Verständnis zu § 1104 ABGB, nach dem auch aus Elementarereignissen resultierende hoheitliche Eingriffe einschlägig sein können.

Das bloße Belassen des Inventars im Bestandobjekt ist keine „Nutzung“ des Bestandobjekts zum vertraglich vereinbarten Zweck. Daraus schließt der OGH, dass weder eine Pflicht zur Entfernung des Inventars besteht noch dadurch eine Abnutzung des Bestandsobjektes erfolgt, sodass auch bei Zurücklassen des Inventars eine gänzliche Mietzinsbefreiung gerechtfertigt ist.

Kommentierung

Somit ist klargestellt, dass – zumindest sofern die Anwendbarkeit des § 1104 ABGB nicht vertraglich ausgeschlossen wurde – ein Betretungsverbot zur Bekämpfung der COVID-19 Pandemie zu einer Mietzinsbefreiung führen.

Inwieweit sich die Mietzinsbefreiung auch auf die Betriebskosten bezieht, wurde vom OGH allerdings nicht thematisiert. In der Lehre wird diese Frage unterschiedlich beantwortet.

Nicht geklärt wurde vom OGH auch, ob und inwieweit Fixkostenzuschüsse und andere Wirtschaftshilfen, die aufgrund der Maßnahmen gewährt wurden oder beantragt werden konnten, da im vorliegenden Fall die Rechtsgrundlage für diese Wirtschaftshilfen erst nach dem streitgegenständlichen Zeitraum veröffentlicht wurden, sodass der OGH auf diese Problematik gar nicht einging. Diese Frage bleibt daher offen – und spannend – da es sich wohl stets um eine Einzelfallentscheidung handeln wird, welche Hilfen konkret in Anspruch genommen werden konnten, welche Auflagen die Richtlinien der jeweiligen Beihilfen jeweils vorsahen und schlussendlich wohl auch, welche Maßnahmen und Anträge dem Bestandnehmer im konkreten Fall zumutbar waren.

Eine weitere Frage, die nach der vorliegenden Entscheidung durchaus noch Diskussionsspielraum eröffnet, ist die Frage der teilweisen Nutzung durch Take-away in der Gastronomie oder click & collect bzw. Onlineverkäufe. Da im vorliegenden Fall personennahe Dienstleistungen betroffen waren, die weder durch click & collect noch online angeboten werden können, stellte sich diese Frage hier nicht, sodass der OGH sich auch nicht im Detail mit dieser Frage beschäftigen musste.

Nichtsdestotrotz liegt nun die Grundsatzentscheidung vor, dass eine Mietzinsbefreiung unter Berufung auf § 1104 ABGB für pandemiebedingte Maßnahmen möglich ist. Die Feinheiten bleiben dem Einzelfall vorbehalten und werden wohl auch in der Vertragsgestaltung zukünftiger Bestandverträge eine Rolle spielen.